Angedacht

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

das Gefühl von Nähe und Ferne kennen wir. In zwischenmenschlichen Beziehungen erleben wir „Nähe“ in der Regel positiv, „Ferne“ hingegen lässt uns an Distanz und Abwesenheit denken und ist meist eher negativ belegt.

Bin ich nur ein Gott, der nah ist,

spricht der HERR,

und nicht auch ein Gott, der fern ist?”

Jeremia 23,23

Der Monatsspruch für September ist eine rhetorisch gestellte Frage und in ihr erfahren wir etwas über Gottes Wesen. Gott lässt wissen, er ist nicht nur ein naher Gott, sondern auch ein ferner Gott. Gott ist, bei aller gefühlten Nähe, nicht zu fassen. Er ist eben auch der nicht greifbare, unerklärbare und für uns Menschen nicht verfügbare Gott. Martin Luther drückt es so aus: Gott ist nicht nur der sich offenbarende, sich zeigende, sondern auch der sich verbergende Gott.

Ja, Gott ist nah und als naher Gott ist er ein Gott der Liebe. Er wendet sich den Menschen zu, indem der das Universum umfassende Gott in einem Stall eingekehrt und ganz nahbar wurde. Er ist ein Gott, der die Furcht aus unserem Leben vertreiben will. Er ist uns nah in dem guten und manchmal vielleicht auch herausfordernden Wort, das uns von anderen Menschen über ihn nah gebracht wird.

Dann gibt es aber Zeiten, da scheint uns Gott weit weg. Wir verstehen ihn und sein Handeln nicht. Er entspricht unseren von ihm gemachten Vorstellungen nicht und handelt anders, als wir es uns wünschen. Diese „Fern-Gotterfahrungen“, die wir dann durchleben, machen uns Mühe und mitunter auch Schmerzen.

Es ist so, Gott ist und bleibt souverän, wir können uns ihm nähern, aber wir haben ihn nie im Griff, er lässt nicht über sich verfügen. Aber, was wäre das auch für ein Gott, den ich mir selbst einfach erklären könnte? – In der Einheitsübersetzung lese ich: „Bin ich nur ein Gott aus der Nähe – Spruch des HERRN - und nicht auch ein Gott aus der Ferne?“

Diese Übersetzung hilft mir zu verstehen, dass Ferne bei Gott nicht ignorante Abwesenheit meint, sondern ganz im Gegenteil eine besondere Anwesenheit. Jetzt verstehe ich die Rede von der Ferne Gottes besser. Gott ist nicht nur einfach da, sondern auch aus der Ferne dabei. Er kann und will mich durchs Leben tragen, denn selbst in seiner Ferne ist er mir ganz nah

Cornelia Fastner-Boß